In letzter Zeit vermehren sich die Berichte darüber, dass in unserer Gesellschaft der Respekt gegenüber dem anderen verloren geht. Das Phänomen gibt es schon lange aber erst durch die zunehmend verzweifelten Berichte von Polizeikräften, Rettungskräften, Lehrkräften oder Personal von Arbeitsagenturen ist es vermehrt in den öffentlichen Focus geraten.
Das Respektieren des anderen ist für mich ein konservativer Wert. Wer den anderen Menschen respektiert, der achtet dessen Würde und der übt niemals irgendeine Form von Gewalt aus, die ihre Quelle in der Missachtung seiner Menschenwürde hat. In einer Gesellschaft geht es aber um mehr, als die Menschenwürde. Es geht vor allem darum, dass jedes Mitglied der Gesellschaft durch seine Tätigkeit einen wichtigen Beitrag zum Funktionieren von Gesellschaft leistet und dass Gesellschaft überhaupt nur dann funktionieren kann, wenn man den anderen Menschen als Mensch und als Funktionsträger akzeptiert. Wenn der Respekt vor dem Menschen als Funktionsträger verloren geht, dann sinkt auch die Bereitschaft der Menschen, überhaupt noch vom Respektverlust betroffene Funktionen auszuüben. Dann aber gerät eine Gesellschaft in Schieflage.
Kinder zum Respekt vor anderen zu erziehen, ist eine eher antiquierte Verhaltensweise. In ihrer antiquierten Form stand insbesondere der Respekt vor Amtsträgern im Vordergrund. Von antiquierten Verhaltensweisen wollte man sich im Laufe der Zeit befreien. Das hat aber natürlich auch Spuren hinterlassen.
Für mich ist der Verlust des Respekts von Hausfrauenmüttern einer der entscheidenden Umstände, warum unsere Gesellschaft in Punkto Respekt vor anderen in Schieflage geraten ist. Nach dem Krieg gehörte es zur klassischen Funktionsteilung in Familien, dass nur ein Elternteil arbeiten geht. In der Regel war das der Mann. Die Frau ist dagegen daheim geblieben und hat sich um die Bewältigung des Haushalts und die Erziehung der Kinder gekümmert. Eine Abwertung hat diese Funktionsteilung dadurch erfahren, dass in unserer Gesellschaft das Maß für die Respektabilität einer Person zunehmend nur das Geld war, das die Person verdiente oder hatte. In der Regel war damit der Mann die Respektsperson und blieb die Frau bei diesem wichtigen Kriterium außen vor. Es dauerte nicht lange, da gründete sich die Frauenbewegung und begann den Kampf dafür, dass auch die Frau an diesen Futtertrog der Respektverteilung kommt. Natürlich wollte die Frauenbewegung dafür Anhängerinnen finden und so wurden alle Frauen im öffentlichen Diskurs abgewertet, die sich mit ihrem Dasein als Hausfrau und Mutter zufriedengeben wollten. Cool und modern waren nur die Frauen, die der Bewegung folgten. Die anderen Frauen wurden öffentlich in die Ecke gestellt. Den letzten Kampf um Anerkennung haben diese Frauen verloren, als vor ein paar Jahren ein aggressiver politischer Kampf um die sogenannte Herdprämie zu ihren Gunsten geführt und zumindest medial eindeutig verloren wurde. Bis heute geht der politische Kampf um die angeblich so wichtige Gleichberechtigung im Arbeitsleben weiter. Zuletzt stand der Streit um die gleiche Bezahlung für gleiche Leistung und die Anzahl von Frauen in den Vorständen der großen Unternehmen im Vordergrund.
Ich frage mich, wo unsere Gesellschaft falsch abgebogen ist.
Im Prinzip waren Familien damals in einer besseren Position, weil es in der Regel noch ausreichte, dass nur ein Elternteil arbeitet, um die Familie ernähren zu können. Es kann nicht ernsthaft angenommen werden, dass die Familien inzwischen davon einen Vorteil haben sollen, dass beide Eltern gezwungen sind, zu arbeiten. Diesen Vorteil hat allein die Wirtschaft, die es geschafft hat, auch die Frauen zum produktiven Arbeitsfaktor zu machen. Wer die Berichterstattung in den Medien aufmerksam verfolgt, der wird feststellen, dass sich die Wirtschaft nur allzu gern für die Rechte der Frauen auf Arbeit einsetzt. Den Nachteil haben die Familien, denen einfach Zeit für Familie verloren geht. Wenn beide Eltern arbeiten steht jedenfalls nicht so viel Zeit für Familie zur Verfügung, als wenn nur ein Elternteil die Familie zum Arbeiten verlassen muss. Und wer behauptet, dass zwei vollzeitarbeitende Eltern noch genug Zeit und Energie für Haushalt und Kindererziehung haben, der lügt. Auch Haushalt und Kindererziehung ist ein Vollzeitjob.
Was komplett aus dem Focus verloren wurde, ist der Umstand, dass eine Frau extrem erfolgreich ist, wenn sie es schafft, Haushalt und Kindererziehung zum Wohle der Familie, der Kinder und letztlich der Gesellschaft zu gestalten. Von mir aus gilt das gerne auch für einen Mann, der diese Aufgabenstellung übernimmt und bewältigt. Jeden Tag den Haushalt zu schmeißen, für eine gesunde Ernährung zu sorgen und die eigenen Kinder mit Haut und Haaren beim Aufwachsen zu unterstützen und zu begleiten, ist eine 24-Stunden-Aufgabe mit einem hohen Anforderungsprofil in Sachen Intelligenz, Organisationstalent, Fleiß, Empathie und Durchhaltevermögen. Ich bin davon überzeugt, dass die Leistungen vieler Frauen höher einzuschätzen waren als die Leistungen, die Männer in ihrem Beruf zu erbringen hatten. Trotzdem waren sie in der öffentlichen Wahrnehmung nicht viel wert und die Frauen wurden eher belächelt als für ihre Leistungen hofiert. Das hatte natürlich zur Folge, dass Frauen versuchten, zu diesem Rollenbild Abstand zu gewinnen. Den Schaden badet unsere Gesellschaft nahezu täglich aus. Die Liebe, die unseren Kindern allein schon aufgrund des Faktors Zeit in der überkommenen Familie zuteil wurde und die ein Garant dafür war, dass auch unsere Kinder zu liebenden Geschöpfen werden, fehlt ihnen heute. Sie kann auch durch engagierte Kinderkrippenkräfte nicht ersetzt werden. Beruflich begründete Zuneigung ist keine elterliche Liebe. Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn wir immer wieder von Nachrichten überfallen werden, die darauf hindeuten, dass jungen Menschen das erforderliche Maß an Gefühlen für andere fehlt. Wir waren es, die sie im Stich gelassen haben.
Traf es erst die Hausfrauenmütter, so folgten schon bald andere Gesellschaftsgruppen. Auch hier war wiederum der Faktor Geld das treibende Element. Wer Millionen auf dem Konto hat und im Monat 30.000 Euro verdient, der fühlt sich in unserer Gesellschaft wichtig und dem fehlt nur allzu oft der Respekt beispielsweise vor einem Polizisten, der im Monat 3.000 Euro nach Hause bringt, der privat einen Gebrauchtwagen fährt und vielleicht noch auf einen Zweitjob angewiesen ist, um mit seiner Familie in der Großstadt überleben zu können. Dazu kommen dann auch noch Ausländer, die hier leben und denen im Rahmen ihrer Erziehungsbiographie vielleicht niemals der Respekt vor anderen beigebracht worden, sondern stattdessen eingetrichtert worden ist, dass alles erlaubt ist, was einen im täglichen Kampf des Lebens überleben lässt.
Was aber macht der Polizist, dem Menschen ohne den erforderlichen Respekt begegnen? Er gibt die selbst erfahrene Respektlosigkeit weiter, in dem er in seiner Familie und gegebenenfalls vor seinen Kindern respektlos über andere, wie zum Beispiel Politiker, Chefs oder Kollegen schimpft. Ich selbst kenne kaum eine Familie, in der eine von Respekt gegenüber Politikern oder Amtsträgern geprägte Diskussion geführt wird. Der Polizist wird hier natürlich nur exemplarisch behandelt und kann nahezu beliebig durch andere Personen ersetzt werden. Auch werden keine Vorwürfe gegenüber einem nur allzu menschlichen Verhalten erhoben. Nichts liegt dem Verfasser ferner.
Wie aber kommen wir wieder aus dieser Misere heraus?
Mit schönen Worten ist es nicht getan und unsere Gesellschaft muss sich auch sehr deutlich bewegen, wenn sie noch so etwas wie eine Wendung zum Besseren erreichen will.
Wenn wir zum Ausdruck bringen wollen, dass es in unserer Gesellschaft bei der Bewertung von Menschen nicht nur um das Geld geht, dass sie verdienen oder besitzen, dann sollten wir genau da ansetzen. Beim Geld.
Wir können zwar nicht bestimmen, wer für welche Tätigkeit wie viel Geld bekommt. Wir können aber durch die Bewertung des durch persönliche Arbeit verdienten Geldes im Steuerrecht eine klare gesellschaftliche Aussage dazu treffen, dass die in der Familie oder im Beruf arbeitenden Menschen alle einen vergleichbaren Wert haben, in dem wir das Einkommen aus persönlicher Arbeit nur in einem Korridor von 0 bis 10.000 Euro als Einkommen aus persönlicher Arbeit akzeptieren und in diesem Korridor einem einheitlichen Steuersatz von 20 Prozent unterwerfen, während jedes weitergehende und jedes andere Einkommen einem einheitlichen Steuersatz von 40 Prozent unterworfen wird. Es kann nicht sein, dass von zwei Menschen, die täglich aufstehen und fleißig sind, der eine für seine persönliche Arbeitsleitung im Jahr Millionen verdient und der andere mit 24.000 Euro auskommen muss. So viel Unterschied ist nicht zwischen den Menschen und ihrer jeweiligen Leistung. Es kann sogar sehr gut sein, dass der Mensch mit dem geringen Einkommen für unsere Gesellschaft einen höheren Beitrag leistet als der, der sich mit Millionenbeträgen bezahlen lässt. Selbstverständlich dürfen auch Gewerbetreibende, Vermieter und andere mit anderen Einkunftsarten sich in besagtem Korridor einen Teil ihres Verdienstes als Einkommen aus persönlicher Leistung anrechnen lassen und selbstverständlich dürfen Familien, bei denen ein Elternteil die Arbeit in der Familie leistet, für diese Person auch ein Einkommen in besagtem Korridor als Familiensplitting in Ansatz bringen. Das sollte es unserer Gesellschaft wert sein und damit können wir den Respekt vor der Leistung eines jeden angemessen mittels steuerlicher Gleichbewertung zum Ausdruck bringen, auf das sich dieser Respekt in der Gesellschaft weiter verteilt.
Ja, mir ist die Argumentation klar, dass dann die Gefahr besteht, dass Kapital ins Ausland abfließt. Aber dann ist es halt so. Der Rest der Gesellschaft wird umso mehr zusammenstehen.
Nein, ich will das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen und alle Frauen nach Hause hinter den Herd schicken. Ich will mich mit meinem Beitrag nur für den Respekt derjenigen Person gegenüber einsetzen, die ihre Arbeitszeit in ihrer Familie verbringt und nicht weniger wert ist, als alle anderen. Wir sollten unsere Gesellschaft so organisieren, dass die Gleichwertigkeit der Menschen im Vordergrund steht und es für die Frage des Respekts eben nicht darauf ankommt, wer wieviel Geld verdient oder hat.
Und wie immer gilt: Wir können es machen, wenn wir es machen wollen.
Thomas Guldenkirch (22. Februar 2020)