5- Gefühle

Die Menschen sind vielleicht gar keine so komplizierten Wesen. Sie müssen essen und trinken, um zu überleben und sie können auch nur bestimmte Temperaturen aushalten. Zu einem großen Teil werden sie von Gefühlen gelenkt. Manche Gefühle sind sehr tief in den Menschen verankert. Werden sie verletzt, dann geraten Menschen aus ihrem Gleichgewicht und haben plötzlich Schwierigkeiten, sich anderen gegenüber noch angemessen zu verhalten. Zu diesen Gefühlen gehören für mich an erster Stelle der Wunsch, geliebt zu werden und an zweiter Stelle der Wunsch, dazuzugehören.

Der Wunsch, geliebt zu werden, richtet sich primär an die eigenen Eltern und später an den Partner und an die eigenen Kinder. Bleibt er unbefriedigt, kann es für einen ungeliebten Menschen schwierig sein, auch für andere Menschen tiefe Gefühle zu entwickeln. Der zweite Wunsch richtet sich an eine als wichtig empfundene Gruppe. Das kann der Freundeskreis oder eine Interessengruppe sein aber auch die Dorfgemeinschaft und nicht zuletzt das Land, in dem man lebt. Wird man von der jeweiligen Gruppe nicht angenommen oder sogar ausgestoßen, kann das nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für die Gesellschaft schwerwiegende Folgen haben. Davon Zeugen Filme aber auch Nachrichten, auf die man gut und gerne verzichten könnte.

Wir müssen uns hinterfragen, ob wir unsere Gesellschaft so organisiert haben, dass jeder bei uns lebende Mensch eine möglichst maximale Chance auf intensive Liebe und Zugehörigkeit besitzt. Diese Organisation hat für mich persönlich viel damit zu tun, bei wem wir unsere Kinder aufwachsen lassen und was unsere Gesellschaft bei Anlegung vernünftiger Maßstäbe an Zugehörigkeitsgefühl vermitteln kann, ohne sich selbst zu überfordern und damit Gefahr zu laufen, den gesellschaftlichen Frieden zu verlieren.

Die Kapazitäten von Gesellschaften bei der Vermittlung von Zugehörigkeit sind meiner Auffassung nach begrenzt. Gesellschaften, die arm sind, haben vielleicht sehr viel an der für die Vermittlung von Zugehörigkeit benötigten Menschlichkeit aber möglicherweise keine ausreichenden materiellen Ressourcen für alle ihre Mitglieder. Leistungsgesellschaften, die sich über ein hohes Maß an Produktivität definieren, haben vielleicht ausreichende materielle Ressourcen aber dafür möglicherweise zu wenig Menschlichkeit für alle ihre Mitglieder. Menschlichkeit hat auch etwas mit dem Faktor Zeit zu tun. Es ist sehr schwierig, den richtigen Weg zu finden. Damit, dass man sagt, „wir schaffen das“ und meint, „ihr macht das schon“, ist es aber wahrscheinlich nicht getan.

Thomas Guldenkirch (21. Februar 2020)